forza helene von gülderbach geb. schwarzschneck (1884-2021)
forza maggiore | höhere Gewalt
forzas geburt verlangte der mutter bertha einen gewaltigen kraftakt ab. einen dermaßen heftigen, dass sie nach 18 stunden wehen und der letzten alles sie fordernden presswehe, die forza in die welt schleuderte, das bewusstsein verlor und das kräftige erstgeborene nie zu sehen bekommen sollte. das zimmer war dunkel, weil es spät nachts war und die beleuchtung ihren ärmlichen verhältnissen entsprechend mickrig. und doch war die blutlache in der die bertha lag nicht zu übersehen. das rot verschluckte das letzte weiß der laken und ängstigte die hebamme, die panisch versuchte die blutung zu stillen, zu tode. forza wurde dem kreidebleichen vater magnus schwarzschneck in die zitternden arme gedrückt. „hol den arzt!“, schrie die hebamme dem starren in den boden genagelten ins gesicht. mit dem ausgestrecktem arm in richtung tür beorderte sie ihn nach draußen in die laue frühlingsnacht. der magnus wie ferngesteuert. die forza eingewickelt und schrill brüllend. als der arzt kam, war’s zu spät. die mama bereits auf dem weg ins jenseitige irgendwas. die hebamme heulte. und als noch der papa anfing zu weinen, wurde forza, die bis zu diesem moment unentwegt schrie, plötzlich ganz leise.
keine neue hauptrolle für anne hathaway
sie schien zu wissen, dass ihr vater nun ruhe brauchen würde, um in seiner weiblosen hilflosigkeit praktikable lösungsansätze produzieren zu können. denn der magnus war nicht gerade für seine weisheit oder proaktive, anpackende art bekannt. die bertha regelte die dinge des lebens. ihr mann tat seinen job als gärtner bei der familie von gülderbach, gemäß den anordnungen, die er dort von der gnä‘ frau benedikta bekam. und wenn er mit der arbeit dort fertig war, tat er das, was ihm die bertha auftrug. den werten lesenden mag an dieser stelle klar sein, dass forzas vater an diesem punkt schwer überfordert war. nachdem ihm kein hilfreicher gedanke kam, er in seiner überbordenden hilflosigkeit ertrank und die forza nach stunden der stille dann doch wieder zu brüllen begann, sprang er auf, nahm das laute bündel und trottete los zum gutshof der von gülderbachs. im gehen traf er dann doch eine entscheidung und zwar die, seiner tochter einen namen zu geben. er wusste, dass die bertha sie helene nennen wollte, sollte es ein mädchen werden. das war keine allzu schwere entscheidung. kurz vor dem eintreffen am gülderbach-hof gesellte sich zum namen helene, dann noch das wörtchen forza hinzu, das dem papa gefiel, weil er die italienische sprache so schön fand, auch wenn er sie nicht verstand. am gülderbach-hof waren immer wieder auch italienische gäste zu besuch und er liebte es sie zu belauschen, wenn sie durch den garten flanierten während er die buxbäume beschnitt. forza war einer der wortfetzen, der es ihm besonders angetan hatte. er klang, wie der name einer edlen dame aus rom. und so kam der name. und kurz darauf die entscheidung darüber, was mit der neugeborenen forza helene passieren würde. die traf die resolute gnä‘ frau von gülderbach, der der verheulte papa magnus die dramatische geschichte zutrug. sie erklärte sich bereit, die kleine zu adoptieren und sich um sie zu kümmern, wenngleich sie schon fünf eigene kinder hatte. der herr von gülderbach hatte nicht viel dazu zu sagen, weil er quasi der magnus, und die benedikta die bertha – nur eben in reich war. man könnte jetzt meinen, es würde sich für die forza also gar nicht so viel ändern, nur, dass sie ab sofort halt auch noch ein rich kid war. tja, die geschichte von forza, ist eine geschichte des echten lebens und kein prinzessinen-coming-of-age-rom-com-filmchen, in der anne hathaway die rolle der forza spielt. nope.
ein kurzes großbusiges glück
kaum hatte der magnus zustimmend genickt, wurde er auch schon in den garten zum rosengießen geschickt, und gleichzeitig die helga gerufen, die alte haushälterin, der die forza an den großen busen gedrückt wurde. ab sofort würde sie sich um sie kümmern. das tat sie auch wirklich liebevoll, so wie sie es auch für die fünf leiblichen kinder der gnä‘ frau getan hatte, bis sie dem kleinkindalter entwuchsen und der benedikta etwas angenehmer wurden. so weit so gut, blöd nur, dass die helga starb als die forza grad mal vier war. lungenentzündung oder so. und blöd, dass die benedikta, trotzdem die kleine schon in einem für sie annehmbaren alter war, nicht wirklich ihr herz erweichen konnte. blöd auch, dass die anderen – zwei jungs und drei mädchen zwischen dann 8 und 18 – ihre adoptivschwester nur schikanierten, verhöhnten und herumkommandierten. der gnä‘ herr ignorierte sie ohnedies, weil er die entscheidung seiner ungeliebten ehefrau, nie mitgetragen hatte. ab dann war sie die von gülderbach, die in der küche der unliebsamen keifenden köchin alma helfen, ihren brüdern und schwestern sachen bringen musste, und ihren eltern aus dem weg gehen sollte, um sie nicht mit ihrer anwesenheit zu stören. dem leiblichen vater brach das herz, doch sah er sich außerstande einzuschreiten, war er doch auf die arbeit angewiesen. und die kleine forza wusste nichts über ihre wahre herkunft und das sollte auch so bleiben. so hatten es die gnä‘ frau und ihr gärtner beschlossen.
is’ eh kein inzest
die jahre vergingen, erst heiratete die älteste, dann die zweitälteste, dann ging der älteste bub nach wien zum studieren, die zweitjüngste starb an den pocken. übrig blieben der paul mit seinen sechszehn jahren und die forza mit ihren an diesem punkt zwölf jahren. wir legen hier an tempo zu, weil das, was dann kam eine lange kette qualvoller ereignisse für die junge forza war und wir die üblichen grauslichen details von vergewaltigungen aus den unzähligen skandalen unserer tage zur genüge kennen. er vergriff sich über einen zeitraum von mehreren monaten gegen ihren willen. die eltern schauten weg. bis sich eine kugel unter dem kleid der gerade mal 13jährigen abzeichnete. es ist wenig verwunderlich, dass forza die schuld an der schande trug und somit – wenngleich benedikta es beklagte, ihre kostenlose arbeitskraft zu verlieren – des hauses verwiesen und ins redemptoristinnenkloster in ried geschickt wurde. ihr unfähiger vater war selbst an dieser stelle nicht imstande ihr zur seite zu stehen. dass der gärtner ihr richtiger vater ist, verriet ihr pauli am weg zur tür, quasi um sich von der schuld, er hätte inzest betrieben, zu befreien. damit war das alles gänzlich legitim. aus seiner sicht zumindest.
beten, arbeiten und goschen halten
die redemptoristinnen waren für forzas verhältnisse eigentlich ganz nett. sie sprachen wenig, arbeiteten und beteten viel, aber ließen sie in ruhe, solange sie auch wenig redete, viel arbeitete und betete. selbst als sie ihr kind zur welt brachte, wurde nicht viel geredet. sie versorgten die forza und ließen das neugeborene verschwinden. danach wurde wieder geschwiegen, gebetet, gearbeitet. als wär nie was gewesen. irgendwann legte forza das ordensgelübde ab. sie hatte sonst nicht viel vor, packte viel und gut an und hatte aus ihrer sicht eh ein ganz gutes leben, auch wenn sie nie sonderlich viel auf gott, das jesuskinderl, die maria und schon gar nicht den heiligen geist hielt. aber das leben außerhalb der klostermauern schien ihr keine passable alternative. und so blieb sie dort. gut abgeriegelt von der aussenwelt. selbst der erste weltkrieg ging für die ordensschwester ohne größere traumata vorbei.
ein ast und eine demente nonne tragen schuld
am 4. Jänner 1921 jedoch fiel ihr während eines wintersturms ein abfallender ast auf den kopf und verletzte sie so schwer, dass sie noch am selben tag verstarb. zur beisetzung kamen keine angehörigen. weder der einzig bekannte leibliche, noch irgendjemand aus der familie der von gülderbachs. ins sterbebuch wurde sie mit ihrem ordensnamen sr. maria forza – der italienische name gefiel den schwestern, war doch die gründerin ihres ordens aus neapel – und ihrem bürgerlichen namen forza helene von gülderbach eingetragen. die schon etwas senile konventleiterin kritzelte etwas zittrig die fehlenden daten darunter: „geb. 3. mai 1884. gest. 4. januar 2021.“ und schloss das buch. der unbemerkte fehler unterlief der schwester, weil sie just in dem moment als sie zum todesjahr ansetzte von einer jungen nonne unterbrochen wurde, die sie fragte, wie viele „gegrüßet seist du, maria“ sie als ablass beten sollte, weil sie zum mittagessen gesprochen hatte, und die alte streng „2000!“ erwiderte.
das portrait von forza helene basiert auf einer zeichnung des vaters magnus schwarzschneck, die man in seiner manteltasche fand, als er 1915 im schützengraben verstarb. unter der zeichnung stand “forza helene”. erzählungen seiner kameraden zufolge, sprach er viel über seine tochter forza, die mit einem industriellen verheiratet sei und ihm vier enkel geschenkt habe.