maria papai

1878-1943

die maria war schon von klein auf anders. sie lernte schneller als alle anderen. sie sprach früher als ihre geschwister. sie las bereits mit drei, obwohl es ihr keiner beigebracht hatte. einfach, weil sie ihren fluchenden brüdern und schwestern nach der schule beim widerwilligen hausaufgabenmachen zusah. und sie konnte es nicht erwarten endlich in die schule gehen, obwohl ihr alle sagten, der spass würde ihr schnell wieder vergehen, weil „solche wie uns, wollen die da nicht“. „ich bin nicht wie ihr!“ brummte sie zurück und streckte ihnen ihre spitze kleinmädchenzunge entgegen.

als es dann so weit war und sie in die schule kam, streckten ihr die geschmähten geschwister die gegenzunge raus und trällerten: „hammas dir gesagt? wir ham’s dir gesagt. bähhhh!“ weil, in der schule war die maria plötzlich nimmer die maria, sondern die zigeuner-mitzi und selbst die größten volltrotteln – und auch der herr lehrer – schauten von oben herab auf sie. da half das ganze gscheitsein nix.

also begann die maria wie die anderen kinder der roma mehr zu schwänzen als schule zu gehen und las lieber auf der wiese liegend jedes buch, dass sie in ihre finger bekam. oder – aber das war ein geheimnis – sie schlich sich mit der gitarre ihres vaters davon, wenn keiner hinsah, und lief weit raus aufs nächste feld, wo sie keiner mehr hören konnte und spielte. so, wie sie es bei den männern im haus abgeschaut hatte. beigebracht hatte es ihr keiner. das gehört sich nicht für eine romni. das zupfen und fideln war den männern vorbehalten. dass die maria beim saitenziehen aber wesentlich talentierter war als alle ihre brüder (und onkeln und ihr vater) und melodien komponieren konnte, die die vögel auf den sonnenblumenfeld vom körndlessen innehalten ließen, weil’s so schön war, interessierte niemanden.

alle hatten es ihr klar gemacht, als man sie als kleinkind wiederholt beim mozartgeniegleichen saitenspiel erwischte. „maria! du beschmutzt die gitarre!“ mit nachdrücklicher ohrfeige. damit sie es sich merkte. sie merkte es sich und tat es nur noch heimlich. und mit den jahren immer weniger. bis sie irgendwann ganz aufgab.