aysun shafak
1954-?

mit großen augen beobachtete die schüchterne aysun eine gruppe hippies, die im heilhamer park in linz ihre schlaksigen körper zu musik bewegten, die sie bislang nicht kannte, sie aber magisch anzog. sie versteifte ihren körper, um nicht mitzugehen, mit der musik, nicht aufzufallen. die blicke ihrer eltern hafteten auf ihr, auch wenn sie nicht da waren. plötzlich stand der schöne viktor in einem hosenanzug vor ihr, der mehr gemustert war als der perseteppich im wohnzimmer ihres zuhauses. er hielt einen luftballon in seiner hand, reichte ihn ihr mit den worten: „komm! sei so frei wie dieser luftballon.“

er nahm ihre hand und mit seinen augen ihr herz. wenige tage später schlich sich heimlich aus der wohnung ihrer eltern und zog mit den bunten hippies davon. sie tauchte ein in einen pool aus freiheit, die sie so nicht kannte, spürte sich, wo sie zuvor nicht mal wusste, dass es sein teil ihrer selbst war. sie löffelte die freiheit, die wie eine aus regenbogen gefertigte torte schmeckte, sog die liebe auf wie ein neugeborenes die milch aus dem busen seiner mutter.

bis der vater und die brüder kamen, sie ins auto packten und in einer elendslangen fahrt zurück nach anatolien brachten, wo sie in einer ebenso langen zeremonie mit einem cousin verheiratet wurde. hier verliert sich die spur von aysun. ihre freiheit flog davon, wie der luftballon, den ihr viktor geschenkt und dessen schnur ihre familie abrupt durchtrennt hatte.